Donnerstag, 14. Juli 2016

Die Heimkehr der verlorenen Tochter


Ich bin mal wieder in meiner Heimatstadt zu Besuch. Das bin ich nicht oft, jedenfalls nicht mehr so oft wie früher. Eigentlich viel zu selten und doch irgendwie gefühlt viel zu oft. Erst will ich nicht hin und wenn ich dann da bin, möchte ich eigentlich doch gleich lieber wieder fahren. Noch mal gute 10 Stunden ins Auto? Ach egal, Hauptsache weg. Hauptsache sich nicht der Vergangenheit stellen.


Denn das ist es doch jedes Mal, sich der Vergangenheit, seiner Vergangenheit, Kindheit und Jugend stellen. Und das bedeutet halt auch jedes Mal Arbeit. Es ist nicht wie Urlaub an einen fremden Ort, wo alles neu und aufregend ist.


Hier in dem altbekannten Städtchen, wo du aufgewachsen bist, kennst du jedes Eckchen, lauern an jeder Ecke Erinnerungen. Das beschäftigt mich zurzeit auch sehr: Erinnerungen. Ich habe nur wenige Erinnerungen an meine frühe Kindheit und wenn nur schlimme Erfahrungen. Oder halt das was man immer wieder an Anekdoten auf Familienfeiern erzählt bekommt, bis man es selber zu seinem Erfahrungsschatz dazuzählt, obwohl man sich nicht wirklich erinnern kann.


Wie kann ich das also bei meinen Kindern ändern? Wie kann ich gewährleisten, dass sie nicht nur schlimme Erinnerungen an ihre Kindheit haben? Und warum vergisst man immer das Schöne und kann sich nur an gravierende einschneidende Ereignisse erinnern? Ich will nicht, dass meine Kinder sich später nur an die schimpfende Mama erinnern, sondern z.B. daran wie ich versucht habe, sie jeden Tag mit Liebe zu überschütten, ihnen Freiraum zu geben, aber auch die angemessenen Grenzen zu setzen. Ja, es gibt z.B. bei uns jeden Samstag Pizza, aber einfach weil die Kinder es lieben und ich aus meiner Kindheit ein Eintopftrauma zurückbehalten habe. Aber egal, diesem Thema habe ich vor ein späteres Kapitel zu widmen.


Zurück zu Erinnerungen und die Vergangenheit. Ich bin also hier, weil ich mich noch der Familienpflicht verbunden fühle und dieses Gefühl momentan noch stärker ist, als mein Wunsch in meiner Comfortzone in meinem zu Hause zu bleiben. Denn ich habe jetzt ein eigenes Leben, ein eigenes schönes zu Hause. Ich stehe auf eigenen Beinen und könnte stolz auf mein bisheriges Leben sein.


Aber dann gehe ich hier durch die Gassen und auch in Läden einkaufen und gehe eigentlich davon aus, dass mich jeder erkennen müsste. So nach dem Motto, ach das ist doch die kleine Gabi, die vor 15 Jahren in die große Stadt gegangen ist. Auch erwarte ich hier jede Menge "alte" Klassenkameraden zu treffen. Aber natürlich ist niemand mehr hier und es erkennt mich auch niemand und ich erkenne auch niemanden. Aber ich kenne die Orte, die Ecken, ich weiß, dass ich da immer ins Kino gegangen bin oder dort immer auf den Bus gewartet habe. Der immer rappelvoll war, und ich manchmal extra ein Stück weitergelaufen bin, nur damit ich etwas eher einsteigen konnte. Früher fuhr der Bus 3 x am Vormittag (zur 0. Stunde für die Gymnasiasten, zur 1. Stunde für die Grundschule und noch etwas später für die Rentner). Heute fährt gar kein Bus mehr, nur ein Rufbus, der nur kommt, wenn man ihn anruft und sich anmeldet.


Alles ändert sich und doch ändern sich die Erinnerungen nicht mit. Ich fühle mich keinen Tag älter als 17, wenn ich in meiner Heimatstadt zu Besuch bin. Es ist als ob mein Körper und meine Seele einfach da weitermachen wollen, wo sie vor 15 Jahren aufgehört haben. Schulranzen packen und wieder zur Schule gehen. Ich bin nicht reifer und erwachsener, sondern fühle mich wie ein Kind. Schutzlos und emotional angreifbar, ohne eigene Stimme und eigene Meinung bzw. ist es nicht wichtig was ich sage.


Auch wenn ich mir Fotos vom Abiball anschaue, erkenne ich kaum jemanden wieder. Denn ich hatte die Namen und Gesichter von früher abgespeichert. Wann sind wir alle nur erwachsen geworden? Selbst die Kinder, die früher immer so furchtbar genervt haben, sind jetzt selber erwachsen und haben schon eigene Kinder.


Aber ich? Ich fühle mich nicht wie 34! Ich weiß noch, als ich jünger war, Nesthäkchen einer Reihe von vielen älteren Cousins und Cousinen, fragte ich mich. Oh man, die sind schon Mitte 20 und sind immer noch nicht verheiratet und haben immer noch keine Kinder, die sollten mal langsam hinne machen. Und dann etwas später, boah, die sind schon über 30, was machen die denn jetzt, die sind doch schon uralt, was wollen die denn jetzt noch aufregendes in ihrem Leben machen? Die sind doch schon so gut wie scheintot.


Naja und jetzt bin ich wohl selbst scheintot, fühle mich aber nicht so. Ich fühle mich nicht alt oder älter oder weiser. Ich hatte furchtbare Angst vor meinem 30. Geburtstag. Aber jetzt die 40? Mein Gott, ist doch nur eine Zahl, ich habe noch nicht die Hälfte meines Lebens rum und die ganze Welt liegt mir zu Füßen. Alles ist möglich.


Und so ist es auch wie meistens im Leben, einfach nur Ansichtssache. Nein, ich bin nicht gerne hier in meiner Heimat, weil ich mich da meinen Träumen und Erinnerungen und letztlich deren Konsequenzen stellen muss. Was habe ich von meinen Teenagerträumen bereits erreicht oder habe ich es noch nicht mal probiert? Wo stehe ich heute und was habe ich in meinem Leben bereits geschafft.


Ich jedenfalls möchte, dass meine Kinder später gerne zu mir nach Hause kommen. Und dies nicht nur, weil sie es als Pflichtgefühl ansehen, sondern weil sie es wollen. Ich bin gespannt ob es mir gelingt. Schließlich wollen wir alle irgendwie alles anders oder zumindest besser machen als unsere eigenen Eltern. Erstaunlich auch, dass uns dies selten nur gelingt und auch sehr erstaunlich, dass Eltern meist viel bessere Großeltern als Eltern sind. Es besteht also noch Hoffnung.


Fazit: man ist immer so alt wie man sich fühlt bzw. es kann nie schaden, mal die Perspektive zu wechseln.

4 Kommentare:

  1. Hat eigentlich mal irgendwann irgendjemand einmal aufgeschrieben in welchem Alter man sich wie fühlt? Ich bin älter wie Du und frage mich heute noch, wie ich mich denn fühlen sollte. Ich fühle mich, wie ich mich fühle und wer bitte sagt denn, dass das nicht genau das richtige Gefühl ist. Wer stellt denn hier überhaupt welche Regeln für welches Alter auf?

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  2. Daheim fühle ich mich auch klein..erwarte, wie du, erkannt zu werden und zu erkennen. Es ist aber nur noch eine Hülle übrig. Meine Heimat ist Landschaft und ein Lebensgefühl geworden. Leider nicht mehr erlebbar.

    Mein älterster Sohn kommt nun jedes Wochenende nach hause. Und der zweite kommt auch in einer Woche heim. Ihre Erinnerungen sind auch nicht nur gute. Und nicht immer war ich eine gute Mutter.

    Aber ich fühle mich reicher als vor 21 Jahren. Reifer. Aber dennoch wie 17. Mamchmal 95

    Fehlst mir. Du wunderbares Wesen aus meiner Erinnerung

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  3. Merkwürdig, ich fühle mich nicht klein, wenn ich wieder da hinzu rückkehre, wo ich aufgewachsen und gelebt habe. Irgendwie noch nicht einmal traurig.

    Ich muss allerdings sagen, dass ich auch keinen wirklichen Bezug mehr zu der Vergangenheit herstellen kann. Ich lebe heute und mein Leben unterscheidet sich doch recht stark, von dem was war.

    Für mich ist es eher erstaunlich, wie wenig mich bestimmte Erinnerungen heute tangieren. Sie sind da - unbestritten - aber das ist auch alles. Sie lassen mir kein Gefühl von Klein oder Traurigkeit mehr aufkommen. Ich kann allerdings nicht sagen, wann das passiert ist und wann sich das bei mir mit dem Gefühl meiner Erinnerungen verändert hat.

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  4. Wenn wir unsere kleinen Kinder wirklich gerne um uns haben, werden sie uns als große "Kinder" gerne besuchen - auch wenn wir Fehler gemacht haben.

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